• 24.11.2021

  • Ein Beitrag von PVS Südwest

Im Gespräch: Warum brauchen wir eine neue GOÄ?

HNO-Facharzt Dr. Michael Klinger und Robert Schneider vom SpiFa sprechen über die Folgen einer neuen GOÄ für die privatärztliche Praxis.

Dieses Gespräch ist eine Aufzeichnung der PVS Podcast-Reihe GOÄcetera.

Intro (Dr. Martin Völckers, Kiel): Das Problem für uns Mediziner bei der Liquidierung von privatärztlichen Leistungen besteht im Wesentlichen darin, dass wir mit einer Gebührenordnung arbeiten, die aus dem Jahr 1982 stammt und seit dieser Zeit nur in kleinen Teilen aktualisiert wurde. Dadurch, dass wir für unsere Leistungen diese Positionen in der GOÄ nicht finden, müssen wir auf das Analogziffernsystem zurückgreifen. Und das bedeutet: Wir suchen uns aus der GOÄ Positionen heraus, von denen wir meinen, dass sie in der Schwere und in der Honorierung in etwa zu dem passen, was wir geleistet haben.

Das führt wiederum dazu, dass wir wenig Nachvollziehbarkeit auch auf der Patienten- und der Versicherungsseite haben. Und das in letzter Konsequenz macht uns Probleme, die manchmal sogar so weit gehen, dass wir gerichtliche Auseinandersetzungen haben in der Liquidierung unserer ärztlichen Leistungen.

Robert Schneider: Herr Doktor Klinger, ich begrüße Sie recht herzlich. Ich freue mich, dass wir heute miteinander ins Gespräch kommen. Sie sind Vorstandsmitglied des PVS-Verbandes und Ausschussvorsitzender GOÄ im Spitzenverband Fachärzte Deutschlands. Wir sprechen über die Gebührenordnung für Ärzte, über die Reform der Gebührenordnung Ärzte und wie wir gerade gehört haben: Seit 30 Jahren ist Stillstand an dieser Front. Was erwartet uns demnächst? Für wen gilt eigentlich diese GOÄ im Grundsätzlichen?

Dr. Michael Klinger: Ja, Herr Schneider, vielen Dank für die Einführung. Was uns beide ja verbindet und das ist der Grund, weswegen wir beide hier zusammensitzen. Sie als Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbands der Fachärzte und ich von Seiten des PVS-Verbandes, uns eint, dass wir ein Ziel haben, nämlich die Förderung und die Beförderung der sogenannten freien Berufe. Und Bestandteil von freien Berufen ist unabänderlich eine Gebührenordnung.

Und Ihre Frage „Für wen gilt das?“: Diese Gebührenordnung ist eine Gebührenordnung, die von Rechtswegen erlassen wird. Somit gilt sie für alle Ärzte im Rechtsgebiet Deutschlands, egal ob mit privaten Krankenversicherungen abgerechnet wird, ob mit Beihilfestellen abgerechnet wird oder auch für Selbstzahlerleistungen, die Ärzte ihren Patienten in Rechnung stellen: immer ist die GOÄ dran.

Freier Beruf, das Stichwort vielleicht noch, ist insofern eine Besonderheit, als dass freie Berufe sich auszeichnen durch zwei Merkmale: Erstens die persönliche Leistungserbringung und zweitens die unteilbare volle Verantwortungsübernahme des Leistungserbringers, in dem Fall des Arztes für sein fachliches Tun. Und deswegen hat der Gesetzgeber gesagt, „Damit es da keinen Missbrauch geben kann, wenn es darum geht, eine Rechnung zu stellen, braucht es eine Gebührenordnung".

Im zweiten ist es so, dass eine Gebührenordnung Neu inzwischen alle Leistungen enthält, die es medizinisch quasi gibt. Alle Leistung, heißt: Es, sind die Leistungen, die in der alten GOÄ zu finden sind, die etwas überarbeitet wurden, aber auch die neuen Leistungen. Neu heißt „die Leistungen aus den letzten 30 Jahren, die ihren Weg nicht in die Gebührenordnung gefunden haben“. Ebenso sind Leistungen enthalten, die die privaten Krankenversicherungen nicht erstatten. Beispiel: Facelifts bei kosmetischer Indikation. Auch dafür gibt es jetzt erstmalig eine entsprechende Legendierung und Bepreisung.

Robert Schneider: Sie haben gerade von „neu“ gesprochen. Wie sind diese Neuheiten in die GOÄ gekommen? Was gibt es an Neuheiten, da haben Sie gerade schon ein paar Beispiele aufgeführt, aber wie ist dieser Entstehungsprozess eigentlich für diese neue GOÄ, 30 Jahre ist ein langer Zeitraum, das klingt nach einem sehr großen Reformvorhaben.

Dr. Michael Klinger: Also „groß“ im wahrsten Sinne des Wortes, weil das, was wir dann in der neuen GOÄ finden werden, ist „groß“ im Sinne von „sehr, sehr viel Leistungen“. Und diese Leistungen sind eingeführt worden über die Bundesärztekammer, die in Verhandlungen mit dem Verband der privaten Krankenversicherungen interagiert hat, natürlich unter Zuhilfenahme von fachlicher Unterstützung.

Das waren 165 Fachverbände und Berufsverbände, die alle haben ihren Input gegeben. Und dass das nicht über Nacht geht, kann man sich vorstellen. Es ist so, dass wir in dieser neuen GOÄ Leistungen finden, die nicht nur neu sind, sondern wir finden eine komplett neue Systematik. Wir haben vorhin gehört „Analogleistungen sind weg!“, klar brauchen wir auch nicht mehr, weil wir jetzt ja alle Leistungen drin haben – es wird aber auch keine Steigerungsfaktoren mehr geben und es wird einen sogenannten robusten Einfachsatz geben. Und damit schwierige Leistungen auch erstattet werden können, wird es da wiederum eine Zuschlagssystematik geben. Die macht die GOÄ noch dicker.

Robert Schneider: Wenn man das hört, das klingt einfach komplex. Klingt umständlich, vielleicht auf den ersten Blick. In der Vielzahl der Regelungen, die Sie gerade angerissen haben: Sie als PVS, als ärztliche Gemeinschaftseinrichtungen. Wie bereiten Sie sich auf diesen Prozess vor?

Dr. Michael Klinger: Sie sagen es, „Umfang, großer Umfang, viele Ziffern“, es wird natürlich damit beginnen und das gilt auch für die Softwarehäuser, die wir im Rahmen unserer Systeme in den Praxen an unserer Seite haben, genau wie die, werden wir auch eine komplett neue GOÄ in die Software reinbringen müssen. Also wir werden das neu programmieren müssen. Wir können leider nicht und das ist ein großes Problem eine Transkription vornehmen von GOÄ alt auf neu. Das macht es schwierig. Und was es noch schwieriger macht für uns als PVS: Wir brauchen neue Prüfsysteme, Plausibilitätssysteme. Die werden in dieser neuen Systematik auch schwierig zu machen sein. Aber da arbeiten wir bereits jetzt dran, damit wir, wenn sie denn kommt, bereit sind.

Robert Schneider: Wenn dieser Reformprozess jetzt hinter uns ist und wir dann die neue GOÄ in der Anwendung haben. Was ist Ihre Prognose? Ist dann diese neue GOÄ zukunftssicher oder fangen wir in fünf Jahren den gleichen Prozess nochmal von vorne an. Wie beurteilen Sie das?

Dr. Michael Klinger: Also neu ist: Die neue GOÄ wird ein lebendes System sein. Und „lebendes System“ heißt, es wird die Möglichkeit geben in dem Moment, wo sie in Kraft ist, von da an gibt es die Möglichkeit, neue Leistungen hinzuzufügen. Das geht auf zwei Wegen: Entweder über Modellversuche oder es wird eine neue Kommission geben, die sogenannte GEKO, die Gemeinsame Kommission zur Weiterentwicklung der GOÄ, die ein Vorschlagsrecht hat, gegenüber der Bundesregierung neue Leistung einzufügen. Insofern werden wir immer à jour sein, und das ging bei der alten GOÄ natürlich nicht.

Robert Schneider: Wir als Spitzenverband Fachärzte haben ja diesen Reformprozess hin zu einer neuen GOÄ auch schon seit mehreren Jahren sehr kritisch begleitet, stellen sehr klar die Forderung an die neue Bundesregierung, in den ersten 100 Tagen dieses Reformvorhaben umzusetzen. Die alte Bundesregierung hat das nicht mehr getan. Wie sehen Sie da die Lage in Berlin? Wie beurteilen Sie das für die PVS?

Dr. Michael Klinger: Wir haben über unsere PVS-Verband auch ein großes Ohr in Berlin und wie wir wissen, erst kürzlich, wir können es in den Sondierungspapier nachlesen: Es wird ein duales Krankenversicherungssystem weiter geben, damit wird es eine private Krankenversicherung weiter geben. Und deswegen werden wir natürlich alles tun, damit in dem Moment, sie sprachen schon die hundert Tage an, wo die Koalition steht, wir nach vorne gehen können und sagen können „So, hier ist die fertige GOÄ!“, wir bitten um zügige Verabschiedung, damit Rechtskraft hergestellt wird und wir sie anwenden können.

Robert Schneider: Vielen Dank erst mal für die ganzen Informationen, Herr Dr. Klinger. Klingt sehr positiv. Klingt nach viel Arbeit, aber auch mit einem positiven Ausblick nach vorne für die Ärzteschaft. Ich freue mich auf die Umsetzung und hoffe, dass uns das alles gelingt, was wir besprochen haben miteinander. Vielen Dank!

Dr. Michael Klinger: Herr Schneider, auch Ihnen vielen Dank. Wir werden beide zusammen an der Front bleiben, weil wir das gleiche Ziel verfolgen. Vielen Dank.

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