• 22.7.2020

  • Ein Beitrag von PVS Südwest

Im Gespräch: Arzt und Betriebswirtschaft

Dr. med. Jörg Schellenberger, Vorsitzender des Ausschusses für Gebühren und Vertragsrecht des PVS Verbands, spricht über die besonderen Voraussetzungen für eine optimale, rechtssichere Abrechnung nach GOÄ und gibt praktische Empfehlungen zur Reduzierung des Zeitaufwands sowie des wirtschaftlichen Risikos.

Dieses Gespräch ist eine Aufzeichnung der PVS Podcast-Reihe GOÄcetera.

Moderator: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von GOÄcetera. Heute ist ein wahrer Experte bei uns zu Gast. Mit ihm sprechen wir über die Rolle der Betriebswirtschaft im Arztberuf, die Flexibilität der GOÄ in besonderen Fällen wie der Corona-Pandemie und darüber, warum das ABC für Ärzte mit G beginnt.

Herr Dr. Schellenberger, herzlich willkommen. Sie haben ja bereits während Ihrer Ausbildung zum Facharzt berufsbegleitend Krankenhausbetriebswirtschaftslehre studiert. Das ist ein gutes Beispiel, dass Betriebswirtschaft und Rechnungswesen ein Teil des Arztberufes ist, um den man sich kümmern muss. Aber das ist ja nicht bei allen der Fall. Wird dieser Bereich in seiner Relevanz immer noch unterschätzt?

Schellenberger: Das Studium war für mich eine sinnvolle Ergänzung, weil die Bereiche Medizin und Betriebswirtschaft arbeitsspezifisch sehr eng zusammenhängen, aber in den reinen Studiengängen so nicht miteinander kombiniert werden. Deswegen habe ich mich entschieden, das als Alleinstellungsmerkmal aufzubauen, das zusammenzuführen, und merke auch, dass diese Relevanz mehr und mehr kommt, die Wahrnehmung und die Wertschätzung stärker ist. Das heißt, diese Kombination aus dem Arztberuf, der auch Unternehmer an der Stelle ist, der Betriebswirtschaft, die alle Bereiche des Unternehmertums durchlebt, und parallel begleitend das Ganze unterstützt. Ich fühle mich auch im Nachgang bestätigt, dass das eine sinnvolle Kombination war und ist.

Moderator: Würden Sie sich an der Stelle auch wünschen, dass sich mehr Ärzte als Unternehmer*in verstehen würden?

Schellenberger: Aus meiner ärztlichen Tätigkeit weiß ich, dass das Arztsein einem gewissen Ethos folgt und da natürlich die Prämisse und die Prioritäten zu setzen sind. Dass das andere mit dazu kommt, würde ich im Rahmen der Ausbildung noch nicht als obligat erforderlich ansehen, weil auch im Rahmen des Studiums nicht klar ist, in welche Richtung sich das Arztsein nachher entwickelt – ob das jetzt als unternehmerisch tätiger niedergelassener Arzt, ob das als angestellter Arzt eine Medizinische Versorgungszentrums ist oder eben als Angestellter oder leitender Arzt im Krankenhaus. Ich denke aber schon, dass im Rahmen der Spezial- und Fortführungsausbildung dieser Bereich hinzugenommen werden sollte, um in diesem Bereich Wissen und Kenntnisse aufzubauen, die für das weitere Unternehmertum wichtig sind und auch gebraucht werden.

Moderator: Die PVS gibt ja sehr viele Hilfestellungen an dieser Stelle. Jetzt gibt es einen Ausschuss für Gebühren und Vertragsrecht im PVS Verband. Was macht dieser Ausschuss eigentlich? Und warum ist dieser für Privatärzte so wichtig?

Schellenberger: Der Ausschuss ist im Spannungsfeld der älter werdenden Gebührenordnung und der modernen Medizin ein Vermittlungsbereich, der das Ganze auslegt und interpretiert. Dadurch, dass sich die Medizin so viel schneller entwickelt als die Gebührenordnung, bedarf es fachkompetente Menschen, die das anzuwenden wissen und die Ärzte an der Stelle beraten.

Moderator: Wenn wir über ein Thema sprechen, merken wir schon, wie komplex das ist: Das sogenannte Zielleistungsprinzip. Das klingt wie: Auf dem Hügel da ist das Ziel und wer genug Leistung hat, der wird es vielleicht auch schaffen. Aber es ist natürlich was ganz, ganz anderes. Können Sie uns das nochmal erklären? Und auch da: Warum muss der Arzt davon schon mal gehört haben?

Schellenberger: Das Zielleistungsprinzip ist in der Gebührenordnung im Paragraphenteil und in einem Vorwort der allgemeinen Bestimmungen zu einem Kapitel normiert. Das Leistungsprinzip ist eine Schutzvorrichtung gegen Doppel-Liquidation. Das heißt, es wird definiert, was worin enthalten ist und dass diese Zielleistung an der Stelle das ist, was monetär bewertet wird, um den Patienten an dieser Stelle vor einer Überforderung zu schützen. Das heißt, die Zielleistung ist das, was in dieser Gebührenordnung vergütet wird.

Dinge, die auf dem Weg zu dieser Zielleistung methodisch notwendig sind, sind nicht nochmal gesondert zu vergüten. Und alles das, was medizinisch notwendig ist und darüber hinausgehen kann, ist natürlich vergütungsfähig. Das Zielleistungsprinzip ist auch eine der größten Reibungspunkte in der GOÄ Auslegung, was worin Teil ist – und darin beraten wir unsere Ärzte natürlich auch.

Moderator: Kann man das im Alltag überhaupt auseinanderhalten? Man stellt sich ein Arzt-Patienten-Verhältnis vor: Man kommt mit einer vielleicht etwas komplexeren Sache als einer Grippe und dann muss das der Arzt alles im Hinterkopf halten.

Schellenberger: In erster Linie ist es normiert für den Bereich von Operationen, gilt aber natürlich auch für andere Leistungen. Dass man diese noch ein bisschen trennscharf betrachten muss, was worin enthalten ist, kann natürlich auch außerhalb von Operationsziffern gelten. Das muss man nicht immer im Hinterkopf haben.

Auf der anderen Seite ist die Gebührenordnung eine Gebührentaxe, die ihre Leistungstexte normiert hat und diesen Leistungstexten zugeordnete Honorarwerte hat. Und in diesem Bereich ist es so, dass man sehr genau auch den Leistungstext verstehen muss, um genau dieses Zielleistungsprinzip nicht zu verletzen – weil das auch, wie gesagt, sehr starkes Konfliktpotenzial hat. Ansonsten würde der Patient ja für seine Leistung unter Umständen zweimal bezahlen und das gilt es zu vermeiden.

Moderator: An anderen Stellen gibt es ja auch immer wieder Diskussionen oder vielleicht Verständnisprobleme. Nicht alles darf privatärztlich liquidiert werden, Pauschalen zum Beispiel nicht. Gebühren, Entschädigungen und Auslagen hingegen schon. Jetzt könnte der Eindruck entstehen: Da geht es um das Wording im Bereich der Privatliquidation. Würden Sie dem folgen?

Schellenberger: Wichtig ist das Wording deswegen, weil hinter jedem dieser Begriffe eigene Spielregeln stehen. Deswegen ist die Differenzierung an der Stelle schon relevant, um – das ist dann die Gegenseite – hier kein Honorar zu verlieren. Das heißt nicht, dass die Bereiche nicht berechnungsfähig sind, aber das sind Spielregeln, die man kennen muss, um sie richtig anzuwenden.

Moderator: Es gibt immer wieder auch Urteile dazu oder Kommentare. Nimmt das in der letzten Zeit zu, weil die eben schon etwas älter ist oder ist es nur mein Eindruck?

Schellenberger: Nein, die Auslegungsstreitigkeiten nehmen natürlich zu. Die Differenzierungsgrade, was worin enthalten ist oder nicht, führt in einer älter werdenden Gebührenordnung natürlich zu mehr und mehr Konfliktpotenzial, das im Binnenbereich zwischen Arzt, Patient bzw. Kostenerstatter teilweise nicht zu lösen ist. Da helfen diese Kommentare, die dann eine gute Anleitung geben, wie das Ganze auszulegen und zu sehen ist. Wenn das nicht funktioniert, wird im Einzelfall auch mal ein Gericht eingeschaltet, und letzten Endes ist es eine Gebührenordnung, eine Gebührentaxe, die die Basis eines Rechtskonstruktes ist und dass auch da Urteile mit einzubeziehen sind.

Auch wir kennen diese Urteile. Wir tauschen untereinander aus. Wir bewerten sie und wenden sie entsprechend an, damit der Patient auch auf der rechtssicheren Seite ist. Das, was wir als Verband tun, hat Hand und Fuß, ist gerichtlich bestätigt und kann auf Basis der Kommentare auch verteidigt werden – auch gegenüber der Kostenerstattung, falls da Nachfragen kommen.

Moderator: Manche erbrachten Leistungen werden eigentlich nicht wirklich berücksichtigt und müssen über sogenannte Analogleistungen abgebildet werden. Noch so ein Wort. Wie gelingt es, das auch gebührenrechtlich korrekt abzurechnen?

Schellenberger: Dem Gesetzgeber war damals schon bewusst, dass die Gebührentaxe nur den Zeitpunkt der Implementierung abbilden kann und dass sich die Medizin weiter fortentwickelt. Deswegen hatte er ein Instrument im Paragraph 6, Absatz 2, implementiert, das es dem Arzt erlaubt, eine nicht vorhandene GOÄ-Ziffer nach Kosten, Art und Zeitaufwand analog abzubilden. Das heißt, der Arzt muss sich an dieser Stelle überlegen, welche Leistung, die in der GOÄ existent ist, nach Kosten, Art und Zeitaufwand der erbrachten Leistung ähnelt. Diese Leistungen darf er analog ansetzen und muss diese Analogleistung als solche kennzeichnen.

Das Problem ist aber, dass die GOÄ sehr, sehr alt ist, so dass selbst diese Analogleistungen mittlerweile an ihre Grenzen stoßen – und auch an dieser Stelle die Auswahl der GOÄ-Ziffer natürlich auch wiederum eine Auslegungsnotwendigkeit nach sich zieht. Aber das ist das normierte Instrument, das man Analogleistungen entsprechend ansetzen kann für Leistungen, die man heute erbringt, aber in der GOÄ nicht aufgenommen sind.

Moderator: Die PVS hat vieles im Blick: Da ist die Politik dabei, da ist der Arzt dabei, aber auch der Patient. Und speziell der Verband ist natürlich dabei, die Dinge ja auch immer wieder zu kommunizieren und aus der Praxis und aus den Praxen heraus für Aktualisierung zu sorgen. Wir haben in unserer ersten Folge mit Herrn Tilgner gesprochen. Da sprach er darüber, dass gerade in Corona-Zeiten die GOÄ-Novelle ja ein bisschen verschoben wird. Können Sie da Neuigkeiten nennen oder was wären Ihre Wünsche? Was sollte zuerst geregelt werden?

Schellenberger: Die Verhandlungen rund um die neue Gebührenordnung waren relativ weit gediehen, haben jetzt durch die Diskussion und die Problematik rund um die Corona-Pandemie in der Priorität etwas hintenanstehen müssen. Die Gespräche laufen aber weiter, denn das eine ersetzt das andere nicht. Die Notwendigkeit einer neuen Gebührenordnung – gerade vor dem Hintergrund des Alters, der zunehmenden Schwierigkeiten in der Auslegung und der Auseinandersetzungen – ist natürlich schon da, so dass das vorangetrieben und möglichst bald abgeschlossen werden sollte.

Parallel dazu kann man sich natürlich auch in Corona-Zeiten Bereiche in der GOÄ angucken. Das ist ja auch erfolgt, wie man auch moderne Probleme, moderne Verfahren oder Kosten-Rahmenbedingungen in einer alten Gebührentaxe abbilden kann. Das sind zwei parallele Prozesse, die unabhängig voneinander vorangetrieben werden und bewertet werden sollten.

Moderator: Wenn wir auf diese Analogleistungen oder auf das Zielleistungsprinzip schauen und auf die unterschiedlichen Urteile, die bisweilen kommen, zeigt das ja, dass man immer jemanden braucht, der wirklich auf dem Laufenden ist. Gerade in Zeiten, wo den Praxen durch Corona vielleicht das eine oder andere weggefallen ist.

Schellenberger: Wir sind Mittler und andernfalls verschenkt man Geld. Gerade mit diesen Rahmenbedingungen, sich auch ständig aktuell zu halten, die Kommentare zu kennen, die Gerichtsurteile zu kennen, ist ein immenser Zeitaufwand, den man über die Implementierung einer privatärztlichen Verrechnungsstelle natürlich wunderbar outsourcen kann. Das heißt, die Zeit würde man für die Patientenbehandlung gewinnen, und an der Stelle ist das verschenkte Geld auch gut investiert in die Implementierung einer privatärztlichen Verrechungsstelle. Unterm Strich bringt das mehr, als es kostet, diesen Aufwand zeitlich und monetär outzusourcen. Das investiert man in die Patientenbehandlung und hat dann eine Win-Win-Win-Situation.

Moderator: Herr Dr. Schellenberger, vielen Dank für das Gespräch! Wir wissen jetzt wieder ein Stück mehr, warum das ABC für Ärzte mit G beginnt.

Schellenberger: Danke Ihnen, sehr gerne.


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